Ockham

Ockham
Ockham
 
['ɔkəm], Occam, Wilhelm von, englischer Philosoph, Franziskanertheologe und kirchenpolitischer Schriftsteller, * Ockham (Surrey) um 1285, ✝ München 9. 4. 1349; studierte und lehrte (seit 1317) in Oxford. Eine Anzeige (wegen Häresie) des Oxforder Exkanzlers Johannes Lutterell (✝ 1335) zog ihn vor den päpstlichen Gerichtshof in Avignon; der Prozess (1324-28) endete ohne Urteil. Gemeinsam mit Michael von Cesena floh er am 26. 5. 1328 nach Pisa zu Ludwig IV., dem Bayern, und ging mit diesem nach München, wo er bis zu seinem Tod dessen kirchenpolitischer Verteidiger gegen die Päpste in Avignon blieb; ein späteres Versöhnungsangebot Ockhams an den Papst ist umstritten. Ockham wurde in der Münchner Franziskanerkirche beigesetzt. - Philosophisch und theologisch ist Ockham einer der Hauptvertreter des Nominalismus, einer erkenntnistheoretischen Position des Spätmittelalters, die nach der symbolischen Wahrheit von Worten (Nomina), Sätzen und Allgemeinbegriffen (Universalien) als angemessenem Ausdruck von Sachen (Denkinhalten) fragt. Der Begriff ist nach Ockham ein Zeichen, ein Name, mit dem die bezeichnete Sache aufgerufen wird. Sein Inhalt kann indes nur relativ erkannt werden, nicht als wahr an sich. Dies gilt v. a. für die Erkenntnis von Gegenständen übersinnlicher Art (Ideen wie Gott, Seele) als Inhalte bloßer Begriffe. Damit schränkte Ockham den herkömmlichen Zugang zur Transzendenz kritisch ein. Über G. Biel, Gregor von Rimini (✝ 1358) und F. Suárez wirkte diese Position auf G. W. Leibniz, für den Raum und Zeit nur subjektive Ordnungsrelationen sind, und über ihn auf I. Kant, der alle Kategorien im Sinne transzendentaler Subjektivität interpretierte. - Ockham hat außerdem die Entwicklung der formalen Logik besonders gefördert; die grundlegenden Sätze der modernen Aussagenlogik waren ihm bekannt. - Als kirchenpolitischer Schriftsteller entwickelte er in Verbindung mit dem theoretischen Armutsstreit und in Auseinandersetzung mit den Kanonisten sowie mit Marsilius von Padua eine an Naturrecht und Offenbarung orientierte Sozialphilosophie und einen Kirchenbegriff, der klar zwischen dem geistlichen Primat göttlichen Rechts und einer historisch gewordenen weltlichen Herrschaft unterschied. Kirche und Staat sind für Ockham autonome, aber auf Zusammenarbeit angelegte Gebilde.
 
Werke: Quodlibeta (1487); Summa logicae (1488).
 
Ausgaben: Opera politica, herausgegeben von J. G. Sikes und anderen, auf mehrere Bände berechnet (1940 folgende); Breviloquium de principatu tyrannico, in: R. Scholz: W. von Ockham als politischer Denker und sein Breviloquium. .. (1944, Nachdruck 1952); Opera plurima, 4 Bände (1962); Expositio in libros artis logicae, herausgegeben von E. A. Moody (1965); Opera philosophica et theologica, herausgegeben vom Franciscan Institute, auf zahlreiche Bände berechnet (1967 folgende).
 
Philosophical writings. A selection, übersetzt von P. Boehmer (71977); Texte zur Theorie der Erkenntnis und der Wissenschaft, herausgegeben von R. Imbach (1984, Nachdruck 1987); Kurze Zusammenfassung zu Aristoteles' Büchern über Naturphilosophie, herausgegeben und übersetzt von H.-U. Wöhler (1987).
 
 
W. Kölmel: W. O. u. seine kirchenpolit. Schriften (1962);
 H. Junghans: O. im Lichte der neueren Forsch. (1968);
 J. Miethke: O.s Weg zur Sozialphilosophie (1969);
 J. Pinborg: Logik u. Semantik im MA. (1972);
 A. Dempf: Die Naturphilosophie O.s als Vorbereitung des Kopernikanismus (1974);
 P. Schulthess: Sein, Signifikation u. Erkenntnis bei W. v. O. (1992);
 J. P. Beckmann: W. v. O. (1995);
 V. Leppin: Geglaubte Wahrheit. Das Theologieverständnis W.s v. O. (1995).

Universal-Lexikon. 2012.

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